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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 08.08.2002
Aktenzeichen: 1 W 28/2002
Rechtsgebiete: ZPO, GVG
Vorschriften:
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6 | |
ZPO § 36 Nr. 6 | |
GVG § 95 Abs. 1 Nr. 3 |
2. Eine Verweisung durch die Kammer für Handelssachen an die Zivilkammer ist nicht bindend, wenn sie objektiv willkürlich erfolgt ist. Willkürlich ist die Verweisung an die Zivilkammer im Nachverfahren, nachdem die Kammer für Handelssachen im Scheckverfahren ein Vorbehaltsurteil erlassen hat.
Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Zivilsenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 1 W 28/2002
In Sachen
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung
der Vors. Richterin am Oberlandesgericht Rabbow-Geiß, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Drescher sowie des Richters am Oberlandesgericht Haag
am 8. August 2002
beschlossen:
Tenor:
Zuständig für den Rechtsstreit in erster Instanz ist die 21. Kammer für Handelssachen am LG Tübingen.
Gründe:
I.
Mit Schriftsatz vom 20.12.2001 erhob die Klägerin zur Kammer für Handelssachen Klage im Scheckprozess gegen den Beklagten, der sich gegen die Inanspruchnahme aus dem Scheck mit Einwendungen aus dem Grundverhältnis zur Wehr setzt.
Mit inzwischen rechtskräftigem Anerkenntnisvorbehaltsurteil vom 18. April 2002 wurde der Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Er hat die Durchführung des Nachverfahrens beantragt. Auf den gleichzeitig gestellten Antrag des Beklagten, der nicht im Handelsregister eingetragen ist, hat die Kammer für Handelssachen den Rechtsstreit an die Zivilkammer wegen "nachträglicher Unzuständigkeit" verwiesen. Diese hält sich ebenfalls nicht für zuständig, weil die verweisende Kammer für Handelssachen u.a. die Regelung in § 95 Abs. 1 Nr. 3 GVG nicht beachtet habe, und hat die Akte deshalb dem Oberlandesgericht zur Bestimmung der zuständigen Kammer vorgelegt.
II.
1.
Der Senat ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Bestimmung der zuständigen Kammer des Landgerichts Tübingen zuständig. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einer Kammer für Handelssachen und einer Zivilkammer desselben Gerichts ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach - soweit ersichtlich - einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, entsprechend anzuwenden (vgl. Kissel, GVG, 3. Auflage, RN 15 zu § 102 GVG; Thomas-Putzo, ZPO, 24. Auflage, RN 26 zu § 36 ZPO; Musielak-Wittschier, ZPO, 3. Auflage, RN 6 zu § 102 GVG; MüKo-Wolf, ZPO, 2. Auflage, RN 6 zu § 102 GVG; Zöller-Vollkommer, ZPO, 23. Auflage, RN 29 zu § 36 ZPO; OLG Brandenburg, NJW-RR 2001, 429 f.; OLG Stuttgart OLGR 1999, 98 f.).
Die Entscheidung des BGH vom 5.10.1999 ( NJW 2000, 80 f. ) betraf mit dem Zuständigkeitskonflikt zwischen Berufungskammer und erstinstanzlich zuständiger Zivilkammer desselben Landgerichts einen - wie der BGH in dieser Entscheidung ausdrücklich hervorhob - anderen Sachverhalt.
2.
Zuständig für die Entscheidung des Rechtsstreits im ersten Rechtszug ist trotz des Verweisungsbeschlusses an die Zivilkammer die 21. Kammer für Handelssachen.
Dem Verweisungsbeschluss kommt hier ausnahmsweise nicht die Bindungswirkung des § 102 Satz 2 GVG zu.
Die gesetzlich angeordnete Verbindlichkeit eines Verweisungsbeschlusses wird zwar nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass er auf einem Rechtsirrtum beruht.
Im vorliegenden Fall entbehrt der in mehrfacher Hinsicht fehlerhafte Verweisungsbeschluss aber jeder gesetzlichen Grundlage, weshalb er jedenfalls als objektiv willkürlich erscheint. In einem solchen Fall entfaltet ein Verweisungsbeschluss nach Auffassung des Senats keine Bindungswirkung (vgl. auch OLG Karlsruhe OLGR 1998, 281 f.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg GuT 2002, 114; OLG Frankfurt OLGR 2001, 242 ff.; OLG Köln NJW-RR 2002, 426 f.; Brandenburgisches Oberlandesgericht OLGR 2001, 247 ff; MüKo-Wolf, aaO, RN 4 zu § 102 GVG; Musielak-Wittschier, aaO, RN 3 zu § 102 GVG; Zöller-Gummer, ZPO, 23. Auflage, RN 6 zu § 102 GVG).
Die Kammer für Handelssachen hat ausweislich des Wortlauts des Verweisungsbeschlusses die maßgebliche Regelung des § 95 Abs. 1 Nr. 3 GVG gar nicht erwähnt. Aus dieser ergibt sich im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin gerade nicht auch aus dem der Scheckhingabe zugrundeliegenden Rechtsgeschäft Ansprüche erhebt, eindeutig die Zuständigkeit der von der Klägerin zutreffend angerufenen Kammer für Handelssachen. Die Klägerin macht mit ihrer Klage Ansprüche allein auf der Grundlage des Scheckgesetzes geltend.
Nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln bestimmt zudem grundsätzlich nur die Klägerseite den Streitgegenstand (vgl. statt vieler Reichold in: Thomas-Putzo, ZPO, 24. Auflage, Einl. II. RN 14). Dass der Beklagte im vorliegenden Fall - wie dies häufig geschieht - im Schecknachverfahren Einwendungen aus dem Grundgeschäft erhebt, ändert nichts an dem von der Klägerin allein aus dem Scheck erhobenen Anspruch.
Für die von der Kammer für Handelssachen im ergänzenden Beschluss vom 12. Juli 2002 vertretene abweichende Auffassung ist ein einschlägiger Beleg nicht angegeben und im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich. Die Ansicht erweist sich als nicht vertretbar.
Schließlich hat die Kammer für Handelssachen offensichtlich nicht bedacht, dass auf Grund der dem Anerkenntnisvorbehaltsurteil zukommenden Bindungswirkung (vgl. z.B. Reichold, aaO, RN 4 zu § 600 ZPO) die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen mit dem inzwischen rechtskräftigen Vorbehaltsurteil bindend bejaht ist (vgl. für das Verhältnis zwischen ordentlichen Gerichten und denjenigen der Arbeitsgerichtsbarkeit BGH NJW 1976, 330).
Ende der Entscheidung
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